20. 1. (Kamerun) Am Abend habe ich ein bisschen Schwierigkeiten, einen geeigneten Schlafplatz zu finden, weil überall der Busch bis an den Weg heranreicht oder aber Häuser und Dörfer dazwischen liegen.
Kurzentschlossen biege ich in eine Schneise ein, die geschlagen wurde, um Platz für eine Überlandleitung zu schaffen. Der Strom in Bertoua reicht bis hierher.
Als ich eine Stelle finde, auf der ich mich niederlassen kann, kommt ein Mann gelaufen, mit bloßem Oberkörper, einer Schüssel voll Wasser auf dem Kopf und drei Kindern hinter sich.
Ich frage ihn nach der Quelle und er beschreibt mir den Weg. Es ist ein Wasserloch, in dem ich mich leider nicht waschen kann, weil es Trinkwasser ist und ich zu viel Erde aufwirbeln würde. Auf dem Rückweg vom Wasserloch treffe ich die drei Kinder. Der Vater hatte sie losgeschickt, um sicher zu gehen, dass ich den Weg zum Wasser auch finde. Sie sind ja so lieb, sie wollen gleich Feuerholz für mich hacken und fangen auch sofort an, schleppen kleine und größere Äste herbei. Dann gehen sie heim.
Ich bereite mein Abendessen vor, und plötzlich „passiert” es: alle vier, Vater mit drei Kindern, kommen noch mal zu mir, schauen, wollen mich zum Schlafen in ihrer Hütte einladen, überreden, es sei nicht gut, im Busch zu schlafen, wilde Tiere und so... Als sie merken, dass ich hier bleiben will, gehen sie wieder, aber nur, um kurz darauf wiederzukommen, fast im Gänsemarsch, der Mann vorneweg, die Kinder hinterdrein, und jeder hat was in den Händen, das sie vor mir ausbreiten: eine zwei Meter lange Zuckerrohrstange, einen Schemel, eine Schlafmatte, einen Topf Erdnüsse, zwei Papayas, einen Topf Mais und einen Topf Spinat.
Ich traue meinen Augen kaum. Sie setzen alles ums Feuer und ich bin etwas verlegen, sie sind es auch. Der Mann sagt: „Die Matte musst du nehmen, weil deine so klein ist”. Dabei zeigt er auf meinen kleinen Teppich, den ich zum Sitzen benutze. „Und das hier”, sagt er mit einem Fingerzeig auf den einen Topf, „das ist Kouskous”. Ich fühle mich wie im Märchen. Ich bin gerührt von soviel Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit....Ich gebe ihnen etwas von meinen „Schätzen”, um meine Dankbarkeit zu zeigen...

...Nachdem die Mutter mit ihren Kindern, als der erste Angriff vorüber war, noch einmal hochgekommen war, sahen alle die verwüstete Wohnung.
Ihr Blick streifte die Kommode, mich und den Volksempfänger. Oben in der Stube erlebe ich als Obstteller meine letzten Sekunden, als plötzlich, inmitten des Getöses in mir und um mich herum etwas Großes und Schweres mit Donnern und Krachen und Splittern auf mich herabfällt, und unter mir der Halt in die Tiefe herunterstürzt. Ich zerberste in wer weiß wie viele kleine Stücke, und ich, als ein Teil davon, als Scherbe, die nach mehr als einem halben Jahrhundert wieder ans Tageslicht kommen soll, lande unter Trümmerschutt, zerborstenen Möbeln, Küchengeräten, zerrissenen Leitungen, zerfledderten Buchteilen, gespaltenen Dielenbrettern und zertrümmertem kleinen und großen Zeug, das ehemals alles Teil einer mit Leben gefüllten Wohnung war, auf der Straße, überschüttet mit Staub, Mörtel und Ziegelsteinen...

Es ist schon ein paar Jährchen her, als ich in Altenheimen arbeitete. In einem dieser Heime begegnete ich einer Frau, die mir Mut macht, wenn ich an sie denke. Ich sollte sie eines Tages mit dem Rollstuhl ausfahren. Sie hatte sich schon sehr darauf gefreut. Wir also los durch die Gegend ums Altersheim, eine Straße hoch, vorbei an Hecken und blühenden Sträuchern. Da fällt ihr ein Heckenrosenstrauch auf und sie fordert mich energisch dazu auf, ihr davon ein paar Blütenzweige abzubrechen. Hm, wir werden von einer Frau beobachtet. Soll ich’s tun? Ich überlege nicht lange, fahre sie näher an die Hecke, breche ein paar Zweige ab und verdufte mit ihr. Sie hat sich gefreut wie ein kleines Kind, für sie war es ein Abenteuer, wir waren ja jetzt zwei Verschworene, zwei Strauchdiebe, im wahrsten Sinne des Wortes! In ihrem Zimmer angekommen, legte ich die Zweige in Ermangelung einer Vase ins Waschbecken und als ich am nächsten Tag wieder reinschaute, hatten die Blüten schon ihre Blätter abgeworfen, da hab ich sie auf die Glasplatte gelegt. In der Nacht kam der Arzt zu dieser Frau. Sie war sehr krank, aber ich hatte ihr nichts angemerkt. Am Nachmittag saß sie, als ich zu ihr kam, im Bett und nähte. Als ich sie fragte, was sie da mache, sagte sie, sie nähe die Bünde von ihrem Nachthemd enger, sie sei dünner geworden. Sie erzählte mir noch, ohne Bitterkeit, ohne Hass, dass sie mit ihrem Mann kein Glück gehabt hätte, er hätte alles Geld verspielt. Am nächsten Morgen war sie tot, nachdem in der Nacht noch einmal der Arzt zu ihr gekommen war. Diese Frau habe ich im Nachhinein sehr bewundert, sie hat bis zum letzten Tag mit Wachheit und Interesse gelebt. Und sie wusste, dass sie bald stirbt. Sie hatte an ihrem Leichenhemd genäht, in welchem man sie auffinden würde. Ich habe die Rosenblätter mit zu mir nach Hause genommen und sie dort lange aufbewahrt, bis sie nach irgendeinem Umzug plötzlich verschwunden waren. Aber in meiner Erinnerung sind sie noch frisch.